Im Zusammenhang mit Cannabis bist Du sicherlich schon mal über den Begriff „Entourage-Effekt“ gestolpert. Dieser stammt aus der Cannabis-Forschung und wir erklären Dir im folgenden Artikel, was es damit auf sich hat.

Synergie der Cannabinoide und die wissenschaftliche Debatte

Die Cannabispflanze und ihre Verbindungen stehen seit fast einem halben Jahrhundert im Mittelpunkt umfangreicher chemischer und biologischer Forschung. Inzwischen sind mehr als 560 verschiedene Verbindungen identifiziert worden, darunter zahlreiche Cannabinoide wie Tetrahydrocannabinol (THC) und Cannabidiol (CBD), Terpene und Flavonoide.

Der Entourage-Effekt bezieht sich nun auf die Hypothese, dass diese Verbindungen synergetisch wirken können, wodurch sich die therapeutischen Effekte im Vergleich zur Einzelanwendung verbessern kann. Dabei begegnen wir diesem Begriff heutzutage nahezu überall, wo es um Cannabis geht.

Aber lässt sich der Entourage-Effekt auch wissenschaftlich beweisen? Und welche Argumente bringen Kritiker dieser Hypothese vor? Wir beleuchten alle Seiten und starten dort, wo alles begann.

So entstand der Begriff Entourage-Effekt

Im Jahr 1998 wurde im Rahmen einer Studie erstmals vom Entourage-Effekt gesprochen. Der bekannte Cannabis-Wissenschaftler Raphael Mechoulam und seine Kollegen vom Weizman Institut in Israel untersuchten die Wirkweise von verschiedenen Molekülen, die der Körper selbst bilden kann und den Cannabinoiden in der Cannabispflanze ähneln – den sogenannten Endocannabinoiden, die mit den Cannabinoid-Rezeptoren 1 (CB1) und 2 (CB2) des Endocannabinoid-Systems (ECS) interagieren.

Das ECS selbst ist ein Regulierungssystem, das an unterschiedlichen Prozessen im Körper beteiligt ist, wie zum Beispiel dem Schmerzempfinden, Emotionen, Bewegungssteuerung und vielen mehr.

Die Forscher zeigten, dass das Endocannabinoid 2-Arachidonoylglycerol (2-AG) an die Cannabinoid-Rezeptoren binden konnte. Außerdem konnten sie 2-AG in verschiedenen Geweben, wie dem Gehirn, Darm und Milz nachweisen, wo es häufig mit den beiden ähnlichen Molekülen 2-Linoleoyl-Glycerol (2-Lino-Gl) und 2-Palmitoyl-Glycerol (2-Palm-Gl) angetroffen wurde. Interessanter Weise konnten sich die beiden Moleküle 2-Lino-GI und 2-Palm-GI nicht an die Cannabinoid-Rezeptoren binden und lösten allein auch keinerlei Effekte aus.

Sie konnten jedoch das Molekül 2-AG beeinflussen, bzw. deren Fähigkeit, sich an die Rezeptoren zu binden, verstärken. Alle drei Moleküle zusammen konnten unterschiedliche Effekte auslösen. Hingegen lösten die beiden Moleküle 2-Lino-GI und 2-Palm-GI allein keine direkten Wirkungen aus. Daraus schlussfolgerten die Forscher, dass die Aktivität des Endocannabinoid-Systems nicht nur von einzelnen Molekülen abhängt, sondern auch von deren „Begleitern“.[1]

Wechselwirkungen zwischen Cannabinoiden und Terpenen

Die jüngste Studie zu den Wechselwirkungen zwischen Cannabinoiden und Terpenen stammt aus dem Jahr 2024, bzw. haben die Forscher systematisch wissenschaftliche Literatur durchforstet, um herauszufinden, ob es Beweise dafür gibt, dass Terpene die Effekte von Cannabinoiden verstärken.[2]

Die Ergebnisse sind jedoch nicht eindeutig. Beispielsweise zeigte das Terpen Myrcen in Kombination mit CBD keine verstärkte Wirkung. Hingegen war in einem anderen Versuchsmodell zu beobachten, dass ein pflanzliches Arzneimittelpräparat mit THC und weiteren Verbindungen aus der Cannabispflanze im Gegensatz zu THC allein verschiedene Ziele und Wirkmechanismen modulierte.

Es zeigt sich, dass wir über den Entourage-Effekt noch nicht genug wissen, bzw. dass noch viel Forschung notwendig ist, um die komplizierten Wirkmechanismen zu entschlüsseln. Interessant ist jedoch, dass in der Studie die möglichen Vorteile von verschiedenen Terpenen beschrieben wurden:

  • Myrcen könnte entspannende Effekte entfalten.
  • Linalool unterstützt möglicherweise beim Einschlafen und bei Stress.
  • Caryophyllen könnte die Kälteverträglichkeit und Schmerztoleranz beeinflussen.
  • Eukalyptol war für das Wohl der Muskulatur potenziell nützlich.
  • Caryophyllen könnte die Kälteverträglichkeit erhöhen.

Wechselwirkungen zwischen Cannabinoiden und Flavonoiden

Die Cannabispflanze enthält neben Cannabinoiden und Terpenen auch ein breites Spektrum an polyphenolischen Verbindungen, wozu auch Flavonoide gehören. Einige Polyphenole scheinen jedoch überwiegend oder ausschließlich in Cannabis enthalten zu sein. Dabei tragen mehrere dieser Verbindungen Bezeichnungen, die mit der Vorsilbe „Cann“ beginnen, was ihre erste Identifizierung in Cannabisextrakten widerspiegelt. Hierzu gehört auch Cannaflavin A, B und C, was in den Blüten, Blättern und Pollen der Cannabispflanze vorkommt.

Forscher der zuvor genannten Studie erklären zu den Cannaflavine A, B und C, dass diese Verbindungen vermutlich eine Rolle bei den potenziellen therapeutischen Gesamteffekten von aus Cannabis gewonnenen Extrakten spielen und als wichtige Begleitstoffe betrachtet werden können. Allerdings fehlen auch hierzu aktuell noch aussagekräftige Studien.

Entourage-Effekt: Mehr Vermutung als bewiesener Fakt?

Entourage-Effekt: Mehr Vermutung als bewiesener Fakt?

Aufgrund dessen, dass die Annahme, dass Cannabinoide und Terpene eine stärkere Wirkung entfalten als einzeln, aus wissenschaftlicher Sicht auf wackligen Beinen steht, betrachten Kritiker den Entourage-Effekt als eine spannende Theorie, die noch auf Beweise wartet. Sicherlich gibt es Hinweise, dass Vollspektrum-Cannabis-Produkte mit mehreren Cannabinoiden und Terpenen effektiver sein können.

Es mangelt jedoch an weiteren wissenschaftlichen Belegen. Hinzu kommt, dass lediglich die positive synergetische Wirkung hervorgehoben wird. Jedoch können sich die Verbindungen auch negativ beeinflussen und sich sogar gegenseitig blockieren, was zu unerwünschten Nebenwirkungen führen kann. Deshalb betrachten Kritiker den Terpen-Entourage-Effekt aus wissenschaftlicher Sicht mit großer Skepsis. Sie plädieren dafür, den Begriff durch etablierte Bezeichnungen der Pharmakologie zu ersetzen, um Klarheit zu schaffen und Missverständnisse zu vermeiden. Weitere Forschung ist notwendig.[3]

Fazit

Der Entourage-Effekt besagt, dass die Verbindungen in der Cannabispflanze wie Cannabinoide und Terpene synergetisch zusammenarbeiten und damit bessere Effekte erzielen können, als wenn eine einzelne Verbindung zur Anwendung kommt. Verschiedene Studien liefern Hinweise darauf, dass es solche Effekte geben könnte. Eindeutige Beweise gibt es derzeit jedoch nicht.

Tatsächlich ist Cannabis ein komplexes Gemisch aus zahlreichen Verbindungen, die alle individuelle Effekte haben können – allein oder zusammen. Es bedarf jedoch noch viel weiterer Forschung, insbesondere klinischer Studien, um herauszufinden, wie sich Verbindungen wie Cannabinoide, Terpene und Flavonoide gegenseitig beeinflussen.

Quellen und Studien

[1] Ben-Shabat S, Fride E, Sheskin T et. al, An entourage effect: inactive endogenous fatty acid glycerol esters enhance 2-arachidonoyl-glycerol cannabinoid activity. Eur J Pharmacol. 1998 Jul 17;353(1), Download vom 20.01.2024 von [Quelle]

[2] André R, Gomes AP, Pereira-Leite C et. al, The Entourage Effect in Cannabis Medicinal Products: A Comprehensive Review. Pharmaceuticals (Basel). 2024 Nov 17;17(11):1543, Download vom 20.01.2024 von [Quelle]

[3] Christensen C, Rose M, Cornett C et. al, Decoding the Postulated Entourage Effect of Medicinal Cannabis: What It Is and What It Isn't. Biomedicines. 2023 Aug 21;11(8):2323, Download vom 20.01.2024 von [Quelle]